»Der NGO-Komplex« - Neue Folge in der Kampagne gegen NGOs und Zivilgesellschaft
Über das Buch »Der NGO-Komplex« und dessen Autor Björn Harms sprach ich in meinem Podcast KUNST DER FREIHEIT mit Timo Reinfrank, dem Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung.

BIH: Auf der Spiegel-Bestsellerliste findet sich gegenwärtig ein Buch mit dem reißerischen Titel »Der NGO-Komplex – wie die Politik unser Steuergeld verprasst«. Der Autor Björn Harms arbeitet für das rechte Nachrichtenportal NIUS. Seine Artikel auf dem Portal tragen Titel wie »Linke SPD-Politikerin übernimmt Entwicklungsministerium«, »Reem Alabali Radovan will eine inklusive Weltordnung«, »Friedrich Merz macht linksradikale SPD-Politikerin zur Queerbeauftragten« oder »Ein grüner Richter, zwei NGOs und drei Somalis. So lief der Geheimplan der Asyllobby gegen Dobrindts Zurückweisung«.
Als wir zuletzt hier in KUNST DER FREIHEIT miteinander gesprochen haben, thematisierten wir die sogenannte Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit deren 551 Fragen gegen NGOs und Zivilgesellschaft. Schon diese Kleine Anfrage arbeitete mit Unterstellungen aus der Tageszeitung DIE WELT. Ist das Buch »Der NGO-Komplex« so etwas wie eine neue Folge in der Staffel dieser Kampagne gegen NGOs und Zivilgesellschaft?
Timo Reinfrank: Ja, ich glaube, man kann das so sagen. Das Buch von Björn Harms ist so etwas wie die publizistische Verlängerung dieser 551 Fragen, die die Union – damals noch im Wahlkampfmodus – gestellt hat. Auch bei diesen 551 Fragen ging es nicht darum, wirklich etwas herauszufinden über die NGOs. Vielmehr bestand der Zweck von vornherein darin, die Zivilgesellschaft, die NGOs in ein bestimmtes Licht zu rücken: als parteiisch, verschwenderisch und politisch gesteuert.
Der Autor des Buches möchte genau dieses Bild des NGO-Machtapparates reproduzieren, bei dem sich die Zivilgesellschaft heimlich bereichert. Es geht darum, Misstrauen gegenüber NGOs und deren Arbeit zu säen.
Dabei scheut Herr Harms auch nicht vor absolut unzulässigen Vergleichen zurück. Denn schon mit dem Titel seines Buches zieht er eine sprachliche Parallele von NGOs und deren vielfach zivilgesellschaftlicher Arbeit gegen rechts hin zum sogenannten NSU-Komplex. Also dem selbsternannten »Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)« um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Zur Erinnerung: beim NSU-Komplex ging es um hochkriminelle, verfassungsfeindliche, rechtsterroristische Strukturen.[1] Diese Parallele zwischen NSU-Komplex und NGO-Komplex herzustellen, finde ich absolut problematisch.
BIHoff: Die Kampagne gegen NGO und Zivilgesellschaft arbeitet gern mit der Behauptung des sogenannten Deep State, also eines verschwörerischen Netzwerks, das im Geheimen die Strippen zieht. Das tut offenbar auch Björn Harms in seinem Buch. Aber wie offen oder wie verdeckt macht er das?
Timo Reinfrank: Das stimmt, auch Harms arbeitet mit dem Motiv. Allerdings subtiler. Er verwendet hier eben nicht die klassischen Codes und Erzählungen klassischer Verschwörungsideologen, sondern eine journalistisch wirkende Sprache. Dennoch bleibt das Prinzip das Gleiche.
Er suggeriert, dass hinter politischen Entscheidungen keine offenen demokratischen Prozesse stehen, sondern vermeintliche verdeckte Netzwerke aus NGOs, Medien, rot-rot-grünen Politiker:innen und der Justiz. Das läuft im Ergebnis auf die klassische Erzählung eines tiefen Staates, eines Deep-State-Narrativs hinaus. Daraus entsteht dann das Bild einer unterwanderten Demokratie. Und deshalb findet in dem Buch auch keine argumentative politische Auseinandersetzung statt im Sinne einer Abwägung, sondern des läuft auf Schuldzuweisungen an eine vermeintlich heimliche Elite hinaus.
Meine Kritik an dem Buch besteht deshalb darin, dass auf der Grundlage von letztlich doch verschwörungsideologischen Narrativen das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben, dem Bild des vermeintlichen Deep State Vorschub geleistet wird und der Blick von den realen Herausforderungen, die es wirklich gibt, abgelenkt wird.
BIHoff: Du hast auf dem Portal Belltower News, der journalistischen Plattform der Amadeu Antonio Stiftung, deutliche Kritik daran geübt, dass das Buch auf der Bestseller-Liste des SPIEGEL steht. Aber rechtfertigen die Verkaufszahlen nicht auch das Ranking in dieser Liste?
Timo Reinfrank: Zweifellos gibt es eine Berechtigung, dass Bestseller eben diejenigen Bücher sind, die sich auch gut verkaufen. Deshalb haben Bestseller-Listen ja auch eine enorme öffentliche Wirkung. Wenn ein Buch dort erscheint, hat es automatisch mehr Sichtbarkeit, mehr Reichweite. Und gerade die SPIEGEL-Bestseller-Liste gilt als ein Ausweis für Glaubwürdigkeit.
Deshalb und weil wir wissen, wie innerhalb der extremen Rechten gezielte Bücher gepusht werden, über Telegram-Kanäle, über Social Media oder auch über Massenbestellungen, ist es notwendig dort genauer hinzuschauen.
Solch ein Titel steht nicht automatisch ganz oben aufgrund journalistischer Qualität oder gesellschaftlicher Relevanz, sondern eben auch als Ergebnis einer gezielten Strategie aus der extremen Rechten, solche Bücher auf den Markt zu bringen und gezielt zur möglichst großen Reichweite zu pushen, um den Diskurs zu beeinflussen [vgl. hierzu das Gespräch mit Prof. Dr. Torsten Hoffmann in KUNST DER FREIHEIT: »Fahrenheit 451« und Literaturnetzwerke der Neuen Rechten].
BIHoff: Die schwarz-rote Koalition im Bund hat im Koalitionsvertrag Regelungen versprochen, die dazu dienen sollen, die rechtliche Unsicherheit bei der Gemeinnützigkeit, aber auch für journalistische Recherchenetzwerke wie Correktiv oder netzpolitik.org zu beenden. Wird das helfen gegen den Anti-NGO-Komplex von NIUS, AfD, die Welt und anderen?
Timo Reinfrank: Die angekündigten Reformen im Koalitionsvertrag sind natürlich ein wichtiger Schritt etwa zur Klarstellung der Gemeinnützigkeit politischer Bildungsarbeit oder zur Absicherung unabhängiger Medien wie Correktiv und anderen. Damit werden zunächst rechtliche Grauzonen geschlossen, die von einschlägig Interessierten bislang genutzt wurden, um NGOs einzuschüchtern. Zusätzlich ist es zeitgemäß und sinnvoll, auch journalistisches Arbeiten auf gemeinnütziger Ebene zu ermöglichen.
Dennoch reichen diese Gesetze und Regelungen, die vereinbart wurden, nicht aus. Es braucht zusätzliche politische Rückendeckung, eine klare Haltung gegenüber den angegriffenen Schutzräumen für Journalist:innen und es braucht eine aktive Öffentlichkeit, die diese Strategien der extremen Rechten auch erkennen und entsprechend benennen.
Was wir im Moment erleben, ist keine spontane Kritik sondern eine systematische Delegitimation demokratischer Zivilpolitik.
BIHoff: Vielen Dank für diese Einschätzung. In KUNST DER FREIHEIT werden wir dieses Thema in Kürze erneut, im Gespräch mit Daniel Leisegang, dem Co-Chefredakteur von netzpolitik.org, aufgreifen.
[1] In den Jahren 2000 bis 2007 ermordeten die Haupttäter des sogenannten NSU zehn Menschen (Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat sowie Michèle Kiesewetter). Sie verübten 43 weitere Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Hier geht es zu den sogenannten NSU-Akten auf dem Portal Frag den Staat.