Warum Populisten unfähig zum Kompromiss sind
Regierungen mit Populisten scheitern tendenziell. Das ergab eine Vergleichsstudie von 368 Regierungen in Europa. Dazu sprach ich in meinem Podcast KUNST DER FREIHEIT mit PD Dr. Marcel Lewandowsky.
Nicht mal ein Jahr hielt die vier Parteienkoalition in den Niederlanden. Geert Wilders und seine rechte, anti-muslimische Partei für die Freiheit – ein ziemlicher Euphemismus aus meiner Sicht - kündigten das Bündnis vor Kurzem auf.
Dass Koalitionen mit Populisten scheitern, ist kein Einzelfall, sondern hat Methode, wie ein Forschungsteam aus Deutschland und der Schweiz herausgefunden hat. Die Wissenschaftler:innen befassten sich mit der Frage, wie stabil oder fragil Bündnisse mit populistischen Parteien sind. Dazu untersuchten sie die Ursachen von Regierungswechseln bei 368 Kabinetten in 26 west-, zentral-
und osteuropäischen Ländern im Zeitraum zwischen 1990 und 2021.
Das ist eine ziemlich respektable Forschungsarbeit und das Ergebnis wurde jüngst, unter dem Titel »Freundliche Feinde oder Feinde im Inneren. Zur Instabilität von Koalitionsregierungen mit Populisten in Europa« in der Zeitschrift Parliamentary Affairs publiziert.
Darüber sprach ich in meinem Podcast KUNST DER FREIHEIT in der Sendung vom 18. Juni 2025 mit dem Politikwissenschaftler PD Dr. Marcel Lewandowski, der Teil des Forschungsteams war.
BIHoff: Wie sehr überraschte Sie der Bruch der niederländischen Rechtskoalition und wie symptomatisch ist dieses Ende für die Regierungsbeteiligung von Populisten?
Dr. Lewandowsky: Nachdem wir uns mit dieser Thematik eine ganze Weile auseinandergesetzt und uns sehr, sehr viele Fälle angeschaut haben, war der Ausstieg des Populisten Wilders und seiner Partei für mich keine Überraschung. Der Ausstieg folgt vielmehr einem relativ typischen Muster, das wir auch bei anderen Regierungsbündnissen mit Populisten gesehen haben, etwa in Österreich. Es spricht sehr viel dafür, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann eine Situation gibt in der eine Regierung insbesondere eine Koalitionsregierung, in der die Populisten sitzen, platzt. Und das ist nun in den Niederlanden passiert.
BIHoff: Sie haben Regierungen betrachtet, in denen populistische Parteien die dominierende Kraft in der Regierung waren und in denen sie als Juniorpartner agiert haben. Gibt es Unterschiede hinsichtlich der Stärke der Populisten in der Regierung und gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen West-, Zentral- bzw. Osteuropa?
Dr. Lewandowsky: Wir haben sehr verschiedene Formen von Koalitionen betrachtet und die Entscheidung getroffen, dass es uns zunächst einmal gar nicht interessiert, in welcher Weise die Regierung scheitert, sondern dass sie scheitert.
Gleichzeitig ließ sich feststellen, dass egal ob eine größere Regierungspartei das Bündnis aufkündigt und das Kabinett umbildet oder eine kleinere Partei aus der Koalition austritt, das entscheidende Muster darin besteht, dass wenn die Populisten in der Regierung sind – und fast egal in welcher Form –, dann tritt mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit der Fall ein, dass die Regierung früher scheitert, als wenn keine Populisten in der Regierung sind. Dieses Muster zieht sich durch Westeuropa und durch Mittel- und Osteuropa. Es ist also ein allgemeines Phänomen, das wir länderübergreifend feststellen.
Überraschend für mich war, dass für die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns von Regierungen mit Populisten nicht entscheidend ist, wie mehr oder weniger extrem die Position der jeweiligen populistischen Partei ist, sondern vielmehr der politische Stil der jeweiligen Partei.
BIHoff: Wie erklären Sie sich das?
Dr. Lewandowsky: Entscheidend ist die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen. Selbst wenn die betreffenden Parteien und Akteure politisch eine sehr extreme politische Position vertreten, könnten sie gegebenenfalls in der Lage sein, von dieser extremen Position pragmatisch abzuweichen. Umgekehrt könnten auch moderat extreme Populisten sich als unfähig erweisen, ihre populistische Position im Regierungsalltag zu variieren.
Der Populismus ist als Ideologie so angelegt, dass er auf der Überzeugung beruht, dass die Populisten die einzigen wahren Vertreter des Volkswillens sind. Daraus entsteht, wie Jan-Berndt Müller es einmal beschrieben hat, ein sehr starker Hang zum Antipluralismus – also zur Kompromisslosigkeit.
Insoweit war es für uns auch nicht überraschend, dass eben nicht die extreme ideologische Position nach links oder rechts dafür sorgt, dass solche Regierungen früher scheitern, sondern diese Kompromisslosigkeit im Populismus selbst angelegt ist.
BIHoff: Also übersetzt, Ideologen können keine Kompromisse schließen, weil sie sonst Probleme mit der Ideologie bekommen?
Dr. Lewandowsky: Nicht ganz. Der Populismus ist zwar, wie ich eben sagte, eine Ideologie. Dennoch würde ich sagen, dass Ideologen Kompromisse schließen, Populisten hingegen schlecht. Denn Populisten unterliegenden dem Irrglauben, sie seien die einzige Stimme des Volkes.
Mit dieser Position ist der Abschluss eines Kompromisses mit denjenigen, die zum politischen Establishment gehören, stets ein fast unüberwindbarer Widerspruch. Wie will man die einzige Stimme des Volkes sein und Kompromisse machen, ohne von diesem Prinzip abzuweichen?
BIHoff: Sie haben den Zeitraum zwischen 1990 und 2021 betrachtet. In dieser Zeit hat sich viel verschoben. Von der Überzeugung, die liberale Demokratie sei das Ende der Geschichte zu den ziemlich stabilen Regierungsmodellen der sogenannten illiberalen Demokratie unter dem Fidesz von Viktor Orbán in Ungarn und der PiS-Partei der Kaczynski-Brüder in Polen. Das Orbán-Regime gilt inzwischen der Trump-Bewegung als Modell. Wenn der autoritäre Populismus politisch, gesellschafts-
und mehrheitsfähig wird und stabil regieren kann, scheitern dann noch Populisten? Sie müssen künftig möglicherweise keine Kompromisse mit Koalitionspartnern mehr machen, weil sie selbst absolute Mehrheiten erringen und danach die Wahlsysteme umgestalten.
Dr. Lewandowsky: Ich gebe Ihnen Recht, dass die beiden genannten Fälle Ungarn und Polen Besonderheiten aufweisen, die zu berücksichtigen sind. Sowohl in Polen, wo die PiS die größere Regierungspartei im Bündnis mit rechtsextremen Parteien war, als auch in Ungarn, wo der Fidesz mit einer übergroßen Mehrheit regiert, sind die Verhältnisse stabiler. In Ungarn mehr noch als in Polen konnte die jeweilige Partei großen Einfluss ausüben und die Gewaltenteilung letztlich sehr stark einebnen. Seitdem der Fidesz über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt, gibt es dort faktisch kaum noch Gewaltenteilung. Denn Orbán wollte und will durchregieren.
Das unterscheidet Ungarn und Polen von denjenigen Parteiensystemen, in dem der Mainstream der Politik nicht populistisch ist und eine oder mehrere Parteien aus dem nichtpopulistischen Mainstream mit den Populisten regieren. Dort steigt signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass das Bündnis vorzeitig scheitert.
Wenn man eine stabile Regierung will und politisch strategisch denkt, lohnt es sich eigentlich nicht, mit den Populisten zusammenzuarbeiten – außer die Populisten sind selbst bereits so stark, dass sich die Frage nach der Instabilität bereits erübrigt.
BIHoff: Vielen Dank für das Gespräch.